kurt I

Und immer sind da Spuren

Vossische Zeitung, 1. Januar 1928

Texte und Portraits 1890-1935

Vorsätze

Ich will den Gänsekiel in die schwarze Flut tauchen. Ich will einen Roman schreiben. Schöne, wahre Menschen sollen auf den Höhen des Lebens wandeln, auf ihrem offenen Antlitz soll sich die Freiheit widerspiegeln … Nein. Ich will ein lyrisches Gedicht schreiben. Meine Seele werde ich auf sammetgrünem Flanell betten, und meine Sorgen werden kreischend von dannen ziehen … Nein. Ich will eine Ballade schreiben. Der Held soll auf blumiger Au mit den Riesen kämpfen, und wenn die Strahlen des Mondes auf eine schöne Prinzessin fallen, dann … Ich will den Gänsekiel in die schwarze Flut tauchen. Ich werde meinem Onkel schreiben, dass ich Geld brauche (»Ulk« 22.11.1907)

Das deutsche Couplet, das keineswegs literaturfähig ist, steht fest auf zwei dicken Säulen: auf dem Stumpfsinn und auf der Zote (Ignaz Wrobel, Die Kunst des Couplets, Berliner Tageblatt, 18.11.1919)

Er hat uns, Mitarbeiter und Leser, zu seinem Werke bekehrt; er liebte, wie wir, Deutschland und wusste, dass dessen schlimmste Feinde nicht jenseits, sondern diesseits des Rheines wohnen. Siegfried Jacobsohns Arbeit soll nicht umsonst gewesen sein. Organisches Leben zieht Leben an – es soll nicht untergehn. Gib deine Waffen weiter, S.J. –! (Weltbühne, 7.12.1926)

Ganze Sprachlehren wiegt mir das auf, was er »ins Deutsche übersetzen« nannte […] Die fast automatisch arbeitende Kontrolluhr seines Stilgefühls ließ nichts durchgehen – kein zu starkes Interpunktionszeichen, keine wilde Stilistik, keinen Gedankenstrich nach dem Punkt (Todsünde!) […] Und so waren unsere Beiträge eigentlich alle nur Briefe an ihn, für ihn geschrieben, im Hinblick auf ihn: auf sein Lachen, auf seine Billigung – ihm zur Freude. Er war der Empfänger für den wir funkten (Weltbühne, 27.12.1927)

Das Ideal

Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, 
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, 
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – 
aber abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit (1927)

Ich konnte kaum die Nacht erwarten, nun war sie da. Eintrat ich in den Liebesgarten – und bin dir nah. Die Skala der Gefühle spielen wir: ein Duett / Du exzellierst in allen Stilen — adrett … kokett … / Scham. Abwehr. Weichen. Überfließen. Ermattung. Schlaf. Wie wir uns lose treiben ließen … Du schlummerst brav / Der Morgen graut. Da rutscht die Zeitung leis durch den Spalt, Die böse Mittlerin, die Leitung — Das Schlagwort knallt / Im Dämmern les ich eine Zeile: »Herr Müller spricht.« Hart tickt die Uhr in dummer Eile. Wir bleiben nicht / Wir treiben fort. In das Gerinsel blick ich zurück. Du gabst auf einer kleinen Insel ein kleines Stundenglück (Theobald Tiger, Schall und Rauch, Heft 7, Juni 1920)

Die Welt verachten – das ist leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich lächeln, wenn alles vorbei ist –: das ist Humor (Peter Panter, Die Bilderausstellung eines Humoristen, Vossische Zeitung, 13.12.1927)

[…] Das ist die Hölle wie von Dante, der Mann ist so roh! Die Decke die ist immer seine Ich kipple ängstlich auf der Kante mal so und mal so […] (Stoßseufzer einer Dame in bewegter Nacht)

Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist

Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, dass Menschheits-Probleme >gelöst< werden. Sie werden von einer gelangweilten Menschheit liegen gelassen (Peter Panter, Weltbühne 24.1.1928)

Ein Land >ändert< sich nicht – das gibt es nicht. Nur die Formen ändern sich, in denen sich das Leben äußert. Das deutsche zum Beispiel so, dass der Deutsche fast gar kein Gefühl für den Nebenmann hat. Dieser betrübende Mangel an Kultur, ein Begriff, den die Deutschen gern mit Wasserklosetts verwechseln, der völlige Mangel an Lebensform … das ist bleibend (an K.W.Körner, 14.8.1930)

Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen (Peter Panter, Weltbühne 8.3.1932)

Man muss den Menschen positiv kommen. Dazu muss man sie – trotz alledem – lieben. Wenn auch nicht den einzelnen Kulicke, so doch die Menschheit. Ich vermags nicht. Meine Abneigung gegen die Schinder ist viel größer als meine Liebe zu den Geschundenen – hier klafft eine Lücke (16.11.1935)

Bitte beschaffe Dir doch auf alle Fälle baldigst den Artikel Hamsuns […] Dann aber würde ich zuschlagen, dass die Funken stieben […] gegen den zu schreiben [Ossietzky], der sich nicht einmal wehren kann –: das ist eine Schweinerei. Ich kann seine Bücher nicht mehr anfassen. Dafür gibts keine Entschuldigung (an Hedwig Müller, 17.12.1935)

Ich enthalte mich jedes öffentlichen Schrittes, weil ich nicht der Mann bin, der eine neue Doktrin bauen kann – ich bin kein großer Führer, ich weiß das. Ich bin ausgezeichnet, wenn ich einer noch dumpfen Masseneinsicht Ausdruck geben kann – aber hier ist keine. Entmutige ich –? Das ist schon viel, wenn man falsche Hoffnungen abbaut (an Arnold Zweig, 15.12 1935)

Wenn ich jetzt sterben müsste, würde ich sagen: »Das war alles?« — Und: »Es war ein bisschen laut.« (Sudelbuch, Dezember 1935)

Letzte Seite Sudelbuch 1935
9.1.1890 Berlin-Moabit – 21.12.1935 Göteborg

mein nachruf

Auf eine Rundfrage / Wie mein Nachruf aussehen soll, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wie er aussehen wird. Er wird aus einer Silbe bestehen / Pappa und Mamma sitzen am abgegessenen Abendbrottisch und vertreiben sich ihre Ehe mit Zeitungslektüre. Da hebt Er plötzlich, durch ein Bild von Dolbin erschreckt, den Kopf und sagt: „Denk mal, der Theobald Tiger ist gestorben!“ Und dann wird Sie meinen Nachruf sprechen. Sie sagt: „Ach –!“

Alle Texte und Portraits Kurt Tucholsky Literaturmuseum Schloss Rheinsberg, 4. Auflage 2008

»Tucholsky ist zeitlos. Das spricht nicht für uns« (Eintrag im Gästebuch)

Hilde und kurt

an Traub und Kind die Frank reich sind / der Zins der schenkt das Kindeskind

eure Reb, von der wir Trauben / ist Vorbild für die Jugend, denn / sie lehrt uns göttlich Tugenden / Hoffnung, Treue, Lieb und Glauben

Kränze unser Dank euch flicht / für die schöne Zuversicht / und Sorg im Reich der Franken /dass uns stets behüte / euer beider Güte /Begleitung in Gedanken

schneiden, spritzen, legen / hoffen auf den Segen / unendlich viele Meilen / entlang der Blau-Fränk’sch-Zeilen / aus eigner Kraft, es gibt kein Lift / verpflichtet ganz dem Wesen /den Geist der Frucht und den der Schrift / der Zeilen auszulesen

begraben unter seinen Reben / damit darin wir weiterleben / in Stöcken die durch euer Tun / mit Händen, die nur betend ruhn /gepflanzt mit eurem Amen / gedeihn in Gottes Namen